Städtische Museen

Landsberg am Lech

Der Nachlass von Wina Georgi

Provenienzforschung im Stadtmuseum Landsberg

Selbstporträt von Walter Georgi beim Malen auf Leinwand, in den Händen Pinsel und Malerpalette. Walther Georgi, Selbstporträt, Öl auf Leinwand, 1900. © Neues Stadtmuseum, Foto: Stephanie Irlen

Das Stadtmuseum besitzt eine Sammlung von Arbeiten des Künstlers Walther Georgi (10.4.1871 – 17.6.1924). Als Mitglied der Künstlergruppe „Die Scholle“ und als Grafiker für die Zeitschrift „Die Jugend“ zählt Walther Georgi zu den Hauptvertretern des Münchner Jugendstils und Impressionismus um 1900. Den Grundstock zur Sammlung legte die Stadt Landsberg am Lech 1944, als sie für ihr Museum 48 Werke des verstorbenen Malers aus dem Nachlass seiner Witwe Wina Georgi erwarb. Da die Werke im Zuge der rassischen Verfolgung und Enteignung Wina Georgis den Eigentümer wechselten, handelt es sich um einen Restitutionsfall.

Bislang gab es keine Veröffentlichung, die sich ausführlicher mit der Biographie und Deportation von Wina Georgi, mit dem Kunstraub und dem Weg der Bilder bis 1951 befasst hätte. Das Landsberger Stadtmuseum ist als öffentliche Einrichtung dazu angehalten, sieht sich aber auch selbst moralisch dazu verpflichtet, die Provenienz dieses Sammlungsbestandes genauer unter die Lupe zu nehmen und die Erkenntnisse zu dokumentieren.

Spurensuche

Zunächst hieß es Portale und Archive abklappern, Hinweise und Dokumente suchen, Aktenbestände wälzen. Der erste Anlaufpunkt: Die Datenbank „Fold3 Holocaust Archives“. Die National Archives and Record Administration (NARA, USA) hat den Aktenbestand des Central Collecting Point (CCP) München digital zugänglich gemacht. Auch der in Landsberg verwahrte Bestand aus dem Nachlass von Wina Georgi wurde im Juni 1948 zum CCP überführt und ist digital einsehbar.

Zur Erklärung: Mit dem Central Collecting Point richtete die amerikanische Militärregierung eine Kunstsammelstelle für die Rückgabe der Kulturgüter ein, die ihren rechtmäßigen Eigentümern durch NS-Verfolgung entzogen wurden. Im Juni 1945 begann der Transport der Kunstwerke aus provisorischen Auslagerungsdepots – in unserem Fall aus Schloss Greifenberg – nach München.

Weitere Quellen finden sich in den Akten der Oberfinanzdirektion und der Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern, beide im Hauptstaatsarchiv München verwahrt, des Bayerischen Landesentschädigungsamts, im Personenstandsregister in München und Wien und im Marktgemeindearchiv Dießen. Im Stadtarchiv Landsberg werden die Akten zum Ankauf der Bilder verwahrt. Nun galt es Puzzlestücke zusammenzufügen und die Abläufe zu rekonstruieren.

Was Gemälderückseiten zu erzählen haben

Ausschnitt einer Gemälderückseite, der Rahmen mit Nummern beschriftet.

Zur Recherche der Provenienz von Gemälden ist deren Rückseite nicht zu unterschätzen. Sie bergen oft wertvolle Hinweise in Form von Aufschriften oder Aufklebern. Sie erzählen von Vorbesitzern, welche Ausstellungen oder Auktionshäuser sie durchlaufen haben, aber eben auch von Verwaltungsstellen. Im Falle NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts: Die Oberfinanzdirektion München zeichnete Werke nach ihrer Beschlagnahmung in Abstimmung mit der Reichskulturkammer mit blauen kurzen Nummer aus. Auf unserem beispielhaften Gemälde mit der Inventarnummer 3816 (schwarze Tusche oben rechts) ist das die 54. Im Central Collecting Point bekamen die Werke schließlich eine fünfstellige Nummer in blau, hier die 47404.  Diese Nummern ermöglichen es uns, die Werke in unserer Sammlung den Listen unterschiedlicher Verwaltungsstellen zuzuordnen.

Im Folgenden fassen wir die Ergebnisse der Provenienz-Recherchen zusammen.

Wina Georgi

Pastellzeichnung von Wina Georgi im Profil bis zur BrustWalther Georgi, Wina Georgi, bezeichnet "Wina - Im Juli 1920", Pastellzeichnung © Neues Stadtmuseum, Foto: Constanze Finkenbeiner

1904 heiratete der Künstler Walther Georgi Malwine (Wina) Süssermann, eine geborene Jüdin, die im Zuge der Heirat zum protestantischen Glauben konvertierte. Gemeinsam zogen sie nach Holzhausen am Ammersee, wo sich mehrere Mitglieder der „Scholle“ niederließen. Nach Walthers unerwartetem Tod 1924, ging die Kunstsammlung an seine Witwe Wina über. Wina geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Die Nachbarn und Freunde Otto Werner und seine Frau unterstützten sie finanziell. Im Gegenzug und aus tiefer Dankbarkeit benannte Wina sie in ihrem Testament als Erben.

War Wina zu Beginn von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg von Verfolgung verschont geblieben, spitzte sich ihre Situation 1943 zu. Denn trotz Konversion galt sie den NS-Behörden weiterhin als Jüdin. Am 12. Januar 1944 wurde sie im Zuge einer reichsweiten Aktion des Reichssicherungshauptamts gegen verwitwete und geschiedene deutsche Juden aus „privilegierten Mischehen“ verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Dort starb sie am 23. Januar 1944 unter ungeklärten Umständen. Ihr Vermögen war mit ihrer Verhaftung eingezogen worden. Damit handelt es sich um verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut.

In einem separaten Text zu Lebensweg, Schicksal und Deportation Wina Georgis erfahren Sie mehr Details.

Die Abwicklung des Nachlasses Wina Georgi

Die Schnelligkeit, mit der die Behörden unmittelbar nach Wina Georgis Tod systematisch ihr Vermögen abwickelten, zeigt das große Interesse staatlicher, städtischer und lokaler Akteure an der Existenzvernichtung der deutschen Juden zu profitieren. Bereits vier Tage nach ihrem Tod kontaktierte das Oberfinanzpräsidium in München den in der Vermögenserklärung genannten Erben.  Das „Arbeitsgebiet III Vermögensverwertung“ wickelte die Vermögen von emigrierten, deportierten und verstorbenen Personen ab und verwertete Möbel, bewegliche Gegenstände, Geld- und Wertpapiere sowie die Grundstücke.

Der im Testament benannte Erbe, Otto Werner, meldete am 15. Februar über ein juristisches Mandat seine Ansprüche an, darunter Hypothekenschuld auf das Georgi-Haus sowie Darlehen auf die monatlich geleisteten Zahlungen mit Zinsen. Am 24. März erklärte sich der Erbe einverstanden, dass die Verpflichtungen aus dem Verkauf des beweglichen Vermögens beglichen werden. Laut Testament hätten ihm das Haus und das gesamte Inventar zugestanden.

Die Stadt Landsberg war schneller im Wettlauf um die Profite aus dem Kunstraub. Bereits am 24. Januar 1944 notierte Sachbearbeiter Kraus in der Oberfinanzdirektion München, dass sich der Kulturreferent im Propagandaministerium, Max Heiss, fernmündlich bei ihm gemeldet habe. Die Stadt Landsberg und die Kreisleitung der NSDAP hätten sich um die hinterlassenen Bilder Walther Georgis beworben. Offenbar hatte Bürgermeister Linn die Gelegenheit, die Bilder im Georgi-Haus am 25. Februar zu besichtigen und in Absprache mit der Reichskulturkammer den größten Teil des Gemäldenachlasses in Auswahl zu nehmen. Er bat Kreisleiter Moltke am selben Tag, den Erwerb bei Reichskulturkammer und Oberfinanzpräsidium zu erwirken. Zunächst noch als Leihgabe erfolgte am 27. März die offizielle Übergabe von 46 Bildern, die in einer ständigen Ausstellung gezeigt werden sollten.

Die übrigen Bilder und Möbel kamen am 27. April zur Versteigerung und brachten einen Erlös von 65.231 Reichsmark. Der Kunstsachverständige Hellmut Lüdke, der mit der Versteigerung beauftragt war, profitierte mit rund 12.000 Reichsmark. Die Erlöse überstiegen die Ansprüche des Erben deutlich, ohne dass die Gemälde in Landsberg überhaupt angetastet werden mussten. Dadurch wurde der Weg für die Stadt Landsberg frei, den Gemäldebestand zu kaufen. Für schließlich 47 Bilder zahlte die Stadt Landsberg 25.000 Reichsmark.  

15 Bilder aus dem Nachlass in Familienbesitz hatte Wina Georgi als solche gekennzeichnet. Die Geschwister Walther Georgis schenkten sie im September 1944 der Stadt Landsberg, als sie erfuhren, dass die Stadt den Großteil der Sammlung erworben hatte. Während der Spätphase des Krieges sahen sie sich in Berlin wohl auch nicht in der Lage die Bilder am Ammersee abzuholen. Bereits im Juli 1944 hatte die Stadt veranlasst, die Georgi-Bilder in Schloss Greifenberg einzulagern, um sie vor Luftangriffen zu schützen.

Die Georgi-Bilder am Central Collecting Point

Nach Kriegsende trieb besonders die amerikanische Militärregierung die Restitution von Kulturgütern zügig voran. Im November 1947 erließ sie ein Rückerstattungsgesetz als gesetzliche Grundlage. Im August 1945 teilte das Oberfinanzpräsidium der Stadt Landsberg mit, dass die Bilder aus dem Nachlass Wina Georgi gesperrt seien. Die Verlagerung von Schloss Greifenberg an den Central Collecting Point in München erfolgte aber erst im Juni 1948. Damit einhergehend wurde ihr Wert neu geschätzt. Der Erbberechtigte, Otto Werner, trat schon im Januar 1946 an die Stadt Landsberg heran und verlangte die Herausgabe der Bilder, die er gegen Zahlung des Kaufpreises zu erwerben gedachte. Die Bilder waren jedoch noch nicht freigegeben.

Mit dem neuen Rückerstattungsgesetz meldete Otto Werner seine Ansprüche im November 1948 bei der Central Claims Agency in Bad Nauheim offiziell an. Die an ihn gezahlten Erstattungsbeträge waren nicht mehr Gegenstand der Verhandlungen, es wurde festgestellt, dass das Vermögen Wina Georgis ersatzlos eingezogen worden sei. Gegen den Beschluss der Wiedergutmachungskammer legte die Stadt Landsberg Beschwerde ein, das Oberlandesgericht hob den Beschluss auf. Schließlich kam es am 29. März 1951 zum außergerichtlichen Vergleich. Der Stadt Landsberg wurden 27 von 48 Bildern zugesprochen, dem Erbberechtigten 21. Im Oktober 1951 gab der Central Collecting Point die Bilder heraus.

Resumée zum Restitutionsfall

Der Anspruch des Erbberechtigten auf Haus und Inventar lässt sich klar dokumentieren. Der durch die Stadt Landsberg erworbene Teil der Sammlung ist davon nicht ausgenommen.

Die nicht ganz einfache Konstellation im Restitutionsfall Wina Georgi ist folgende: Der Erbe stimmte 1944 dem Verkauf von Gemälden und Inventars zu und erhielt dafür Entschädigungszahlungen für Hypothek und Darlehen. Nach dem Krieg meldete er seine Ansprüche auf das Erbe an. Neben weiteren Entschädigungen für das versteigerte Inventar erfolgte 1949 eine Einigung mit dem Land Bayern bezüglich der Rückgabe des Hauses. Im außergerichtlichen Vergleich mit der Stadt Landsberg erhielt er 44% des Gemäldebestandes zurück, den die Stadt Landsberg angekauft hatte.

Die Handreichung zur Umsetzung der „Gemeinsamen Erklärung zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ von 1999 formuliert dazu: „Eine bereits geleistete Wiedergutmachungsleistung kann dazu führen, dass der Verbleib des Kunstwerks bei der öffentlichen Institution einer gerechten und fairen Lösung dient, wenn der damals Berechtigte dies im Rahmen der Wiedergutmachung zum Ausdruck gebracht hat.“

Durch den Kontakt zur Familie des Erben konnte das Stadtmuseum seine Sammlung mit weiteren Ankäufen, Dauerleihgaben und Schenkungen erweitern. Dennoch ist die Sammlungspolitik des Stadtmuseums eine Gratwanderung zwischen dem Interesse, den Bestand zu erweitern und öffentlich zugänglich zu machen und der moralischen Verpflichtung, bei jedem Ankauf die Zugehörigkeit zum Eigentum Wina Georgis 1944 auszuschließen, was aufgrund fehlender Angaben zu Bildtiteln, Maßen und Material in der Versteigerungsliste oft nicht mehr zu klären ist. Keines der nach 1945 erworbenen Bilder im Stadtmuseum trägt die in blauer Kreide geschriebene kurze Nummer der Vermögenserfassung durch die Behörden, wenngleich diese entfernt worden sein kann.

Die Gemälde in der Sammlung des Stadtmuseums verkörpern das an Wina Georgi begangene nationalsozialistische Unrecht. Die Auseinandersetzung mit ihm soll darum in der neuen Dauerausstellung ermöglicht werden, um an Wina Georgis tragischen Lebensweg und ihre Bemühungen um den Nachlass ihres Mannes zu erinnern. Parallel dazu werden die Recherchen im Austausch mit den Kollegen aus anderen Einrichtungen, die mit der Provenienzrecherche zu Werken Georgis befasst sind, fortgeführt.


Eine ausführlichere Beschreibung der Provenienzrecherchen zur Kunstsammlung Walther Georgi im Stadtmuseum sowie Quellen- und Literaturangaben finden Sie in den Anfang 2022 erscheinenden Landsberger Geschichtsblättern im Aufsatz von Sonia Fischer: Der Nachlass von Wina Georgi. Ein Fall von Kunstraub und Restitution.

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