Städtische Museen

Landsberg am Lech

Der Lebensweg von Wina Georgi

Pastellzeichnung von Wina Georgi im Profil bis zur BrustWalther Georgi, Wina Georgi, bezeichnet "Wina - Im Juli 1920", Pastellzeichnung © Neues Stadtmuseum, Foto: Constanze Finkenbeiner

Malvine Süssermann wurde am 25. Juli 1872 als Tochter von Max und Marie Süssermann in Lemberg geboren. Das Geburtsdatum entspricht ihren eigenen Angaben, die sie in der Vermögenserklärung für die Gestapo kurz vor ihrer Deportation am 12.1.1944 machte. In den Lemberger Geburtsmatrikelbüchern ist ihr Geburtstag jedoch am 25. August desselben Jahres eingetragen. Familie Süssermann war jüdischen Glaubens. Der Vater Max Süssermann war Kaufmann in Lemberg und gehörte wohl zu den gutbürgerlichen Kreisen der Stadt, da er seine Tochter bei der Ehestandsgründung mit Walther Georgi finanziell weitreichend unterstützte.

Für die Eheschließung trat Wina Georgi, so ihr Rufname, aus der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien aus, um die protestantische Konfession ihres Mannes anzunehmen. Die Taufe fand in der lutherischen Stadtkirche der Wiener Innenstadt am 17.12.1904 statt. Wina war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt und von ihrem ersten Ehemann geschieden. In der Sekundärliteratur zu Wina Georgi taucht der Name „Mittermann“ auf, der wohl nicht ihrem ersten Ehemann, sondern einem Transkriptionsfehler zuzuschreiben ist. Leider ließen sich bislang keine Informationen zur ersten Ehe finden, auch nicht zum Zeitpunkt der Emigration nach Wien, da die Melderegister dort erst ab 1904 einsetzen.

Adolf Münzer, langjähriger Freund des Ehepaares und direkter Nachbar in Holzhausen, schrieb in seinem Tagebuch, dass Wina Süssermann Walther Georgi als seine Kunstschülerin kennengelernt haben soll. Tatsächlich schrieb sie sich als Kunstschülerin an der Damenakademie des Künstlerinnen-Vereins München im Oktober 1904 ein. Walther Georgi gehörte zwar nicht zum Lehrkörper, aber einige seiner Kollegen der Künstlervereinigung „Scholle“, so Adolf Höfer, Leo Putz, Walter Püttner und Max Feldbauer, unterrichteten dort.

Vor dem Hintergrund, dass Wina Süssermann Kunststudentin war, erscheint auch die Erzählung plausibel, dass Walter Georgi aus der Künstlervereinigung 1905 deshalb ausgetreten sei, weil die Mehrheit die Aufnahme einer Frau in die Gruppe abgelehnt habe. Es ist das Jahr, in dem Walter und Wina Georgi ihr Haus Nr. 18, ein außergewöhnliches Architektenhaus, in Holzhausen bezogen haben.

Nach dem Tod Walther Georgis

Ehepaar Walther und Wina Georgi in Anzug und Hochzeitskleid, wohl im eigenen GartenDas frisch getraute Ehepaar Walther und Wina Georgi, wohl im eigenen Garten. Foto in Privatbesitz

Nach dem Tod Georgis, der am 17. Juni 1924 unerwartet an einer nicht erkannten Blinddarmentzündung verstarb, geriet seine Witwe in finanzielle Schwierigkeiten. Sie verkaufte 1934 Grundstücksanteile an Adolf Münzer und 1938 zwei Hektar Wald und Wiesen „Am Weitlesberg“ an Franz Fichtl. Hypotheken lasteten auf dem Haus. Nachbar Otto Werner unterstützte Wina Georgi seit 1932 mit monatlichen Zahlungen. Die Unterstützung scheint jedoch nicht nur monetärer Art gewesen zu sein, was sich im Wortlaut des Testaments ausdrückt, das Wina Georgi am 8. Juni 1941 verfasste: „Herrn und Frau Werner gehört mein ganz besonderer und tiefster Dank! Und Liebe!“

Bei Abfassung des Testaments war sich Wina Georgi über die existenzbedrohende Situation im Klaren, da sie bei den NS-Behörden trotz Konversion als Jüdin galt. Über 11.000 deutsche Juden überlebten den Holocaust, weil sie mit einem nichtjüdischen Partner verheiratet waren. Auf Grund ihrer familialen Verbindung zur „Volksgemeinschaft“ nahm das NS-Regime sie von zentralen Verfolgungsmaßnahmen aus. Das änderte sich zum Kriegsende hin dramatisch.

Wina Georgi konnte bis Januar 1944 in ihrem Haus in Holzhausen wohnen. Das erscheint ungewöhnlich, da ihr lange zuvor verstorbener Ehemann ihr keinen Schutz mehr brachte. Dass sie den Behörden bekannt war und unter Beobachtung der Gestapostellen stand, macht ein Tagebucheintrag Adolf Münzers deutlich: Er notierte am 10. November 1938, also während des Novemberpogroms: „Wina wird ausgewiesen wegen des Todes des Gesandtschaftsrates [sic] vom Rath. Wina zur Bahn gebracht.“ Wer sie ausweisen wollte oder wo sie Unterschlupf suchte, um sich aus der Schusslinie der Behörden zu nehmen, ist nicht bekannt. Bemerkenswert ist aber die Hilfeleistung, mit der sich Adolf Münzer während der Pogromtage, in einem aufgeheizten Klima der Gewaltexzesse gegen Juden, selbst in Gefahr brachte.

Vieles spricht dafür, dass Wina Georgi bis Ende 1943 noch erstaunliche Handlungsräume hatte. Vom 24. Mai bis 10. Juli 1941 fand eine Ausstellung mit Werken von Walther Georgi und Paul Neu im Lenbachhaus statt, die von Wina aktiv vorbereitet wurde. Sie korrespondierte mit Museumsdirektor Konrad Schießl persönlich, der sie zwei Mal, am 10. September 1940 und zur Auswahl der Bilder am 8. Mai 1941 in Holzhausen besuchte.

Deportation nach Theresienstadt

Am 9. Januar 1944 erreichte Wina Georgi die Nachricht ihrer Deportation. Münzer notierte in seinem Tagebuch: „Mittags Nachricht von Fr. Georgis „Abwanderung“. Besprechung mit Kreisleiter. Bericht für die Gestapo aufgesetzt.“ Der Terminus „Abwanderung“ entspricht der normierten NS-Sprachregelung, schönrednerisch die Deportation in die Konzentrationslager zu verhüllen, weshalb ihn Münzer auch in Anführungszeichen setzte.

Offensichtlich glaubte Münzer über Kreisleiter Joachim von Moltke, der unweit in Schondorf wohnte, noch Einfluss nehmen zu können. Dass er an die Gestapo einen Brief verfasste, in dem er sich für seine jüdische Nachbarin mit Verweis auf die ehemals bestehende sogenannte „privilegierte Mischehe“ hinwies, war ein sehr mutiger Protest. Tags darauf fuhr Münzer nach München „aufs Gaugericht“ und zur Gestapo, telefonierte erneut mit Kreisleiter Moltke, der „die Sache selbst in die Hand nehmen will“ (Eintrag vom 10. Januar 1944). Am 13. Januar folgte die Notiz im Tagebuch: „Frau Georgi wurde abgeholt. Noch einmal an den Kreisleiter geschrieben und nachm. nach Schondorf gebracht. Besuch von Werners.“ Die Vorgänge sind bemerkenswert, zeigen sie doch, dass mehrere „arische“ Nachbarn im sozialen Umfeld Wina Georgis bis 1944 eine aktive Rolle spielten und offensichtlich auch die lokalen NS-Behörden keine Veranlassung sahen, dies zu unterbinden.

Die lokale Initiative musste scheitern, da es sich bei Winas Georgis Deportationsbescheid um eine reichsweite Aktion handelte, die das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zur Deportation von Juden aus aufgelösten „Mischehen“ am 18. Dezember 1943 angeordnet hatte. Zwar gab es auch schon vorher Deportationen von Juden aus aufgelösten „Mischehen“, aber zum endgültigen Schlag holte das RSHA aus, als es die noch verbliebenen verwitweten und geschiedenen deutschen Juden aus „Mischehen“ in einer überraschenden Aktion im Januar 1944 verhaften und nach Theresienstadt verschleppen ließ.

Wina Georgi wurde am 12. Januar in ihrer Wohnung abgeholt und vermutlich durch den Unternehmer Gustav Sinner nach München gebracht, der für den Transport von Wina Georgi, Babette Renate Casella aus Planegg, geb. Hamburger, Maria Offner aus Gauting, geb. Benfey und Anna Westermayer aus Ammerland, geb. Rosenthal, Transportkosten in Höhe von 120 Reichsmark beim Oberfinanzministerium geltend machte. Der Zug brach in München am 13. Januar auf und traf am 14. Januar in Theresienstadt ein. Darin Wina Georgi und 32 weitere jüdische Frauen und Männer aus aufgelösten „Mischehen“, 20 von ihnen aus München.

Aus Theresienstadt meldete sich Wina mit einem letzten Lebenszeichen bei ihrer Zugehfrau Elisabeth Gmeineder, die sie um Zusendung von Wäsche bat. Zeigten bereits die Tintenflecken der Vermögenserklärung, die Wina Georgi am 12. Januar gegenüber der Gestapo machte, in welch aufgelöstem Zustand sie war, so sprechen auch Handschrift und Inhalt dieser letzten undatierten Notiz mit Grüßen an die Nachbarschaft eine deutliche Sprache: Sie verwechselte den Namen ihres Aufenthaltsortes, glaubte, sich in ihren Formulierungen geirrt zu haben und deutete ihren verstörten Zustand an, indem sie schrieb, dass sie sich melden würde, wenn sie sich beruhigt habe.

Dazu kam es nicht mehr. Sie starb nur einige Tage später unter ungeklärten Umständen am 23. Januar 1944. Viele der älteren Personen, die nach Theresienstadt verschleppt wurden, starben an Dysenterie aufgrund der schlechten Lebensbedingungen.


Der Beitrag ist ein gekürzter Auszug des Artikels von Sonia Fischer: Der Nachlass von Wina Georgi. Ein Fall von Kunstraub und Restitution. Landsberger Geschichtsblätter 120. Jg. (2022). Hierin finden sich auch sämtliche Quellen und Literaturangaben zur Recherche.

Erfahren Sie in einem separaten Text zum Nachlass von Walther und Wina Georgi, wie zahlreiche Werke den Weg in unsere Sammlung fanden.

Stadtmuseum Landsberg am Lech
Von-Helfenstein-Gasse 426
86899 Landsberg am Lech

Bürozeiten
Montag-Freitag 8 - 12 Uhr

Kontakt
08191/128360
stadtmuseum@landsberg.de

.